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II. Formules, formulaires : une mise au point lexicale

Peter Herde, Professeur émérite à l’université de Wurzbourg, Am Hubland, D-97074 Würzburg.peter.herde@mail.uni-wuerzburg.de

Gestatten Sie mir einige Anmerkungen zur Terminologie der von uns behandelten Fragen.Die häufigste Bezeichnung für den Mustertext einer Urkunde ist lat.„forma“1. In der Papstkanzlei und in anderen Kanzleien und Institutionen kommtder Begriff in einer weiteren und einer engeren Bedeutung vor. Im weiteren Sinne bedeutet „forma“ den Wortlaut der Urkunde, zumeist unter Ausschluß des Ausstellers und Empfängers und der Datierung, wobei der Nachdruck auf dem dispositiven, rechtlich bedeutsamen Teil des Textes liegt. Im engeren Sinne bedeutet „forma“ sowohl in der päpstlichen Kanzlei als auch in der Kanonistik den durch Kanzleibrauch oder Rechtspraxis für alle gleichartigen Fälle festgelegten Wortlaut des Textes, aus dem die rechtskräftige Urkunde durch das Einsetzen von Personen-und Ortsnamen und Datierung angefertigt wird (vgl. etwa in einer Papsturkunde: „sub ea forma, qua pro pauperibus clericis scribere consuevimus“).

Wie aber ist lat. „forma“ in dieser Bedeutung in den Volkssprachen wiederzugeben? Die unmittelbare deutsche Entlehnung seit dem Mittelhochdeutschen („forme“) ist „Form“, das heute eine vielfache Bedeutung von „Gestalt“ hat; das Wort wurde übertragen zur Bezeichnung sprachlicher Strukturen, rechtlicher und literarische Phänomene, gesellschaftlicher Einrichtungen, Verhaltensweisen, sportlicher Leistungsfähigkeit u.a.2. Keine dieser Bedeutungen trifft auf die diplomatische Bedeutung von „forma“ zu.

Näher kommt dieser „Formel“, entlehnt aus lat. „formula“, Diminuitivform von „forma“; im heutigen Deutsch in der Bedeutung „vorgeschriebene oder eingeführte Worte oder Sätze“, übertragen auf, Mathematik, Physik, Chemie, Philosophie u.a.3. „Formel“ steht meines Erachtens unserer diplomatischen Bedeutung von „forma“ am nächsten und wird auch meist als deutsches Pendant in der wissenschaftlichenLiteratur verwendet. Harry Bresslau hat sich dagegen zur Bezeichnung eines urkundlichen Mustertextes für „Formular“ entschieden4. Er begründet das damit, daß die „früher fast allgemein verwandten: Formel, Formelsammlung, Formelbuch“ „in der diplomatischen Terminologie allgemein auch im wesentlich anderen Sinne, zur Bezeichnung nämlich der einzelnen Urkundenteile“ verwendet werden.

Dennoch ist von der Verwendung von „Formular“ für den Mustertext einer Urkunde abzuraten, da das Wort eine Entlehnung von lat.„formularium“ ist, was die Sammlung von urkundlichen Mustertexten bezeichnet, und die Bedeutung von „wörtlicher Vorschrift, etwas wörtlich Vorgeschriebenes“, seit dem 19.Jahrhundert auch von „Schema“ und „Vordruck“ erhalten hat5. Aus diesem Grunde kann „Formular“ im Deutschen auch nicht für „Formelsammlung“ verwendet wurde. Ich plädiere daher dafür, es bei „Formel“ zu belassen6. Im Englischen ist das wohl am häufigsten verwendete Wort für den Mustertext einer Urkunde „form letter“7. Für die „Formelsammlung“ ist im Englischen „formulary“, die direkte Entlehnung von lat.„formularium“, allgemein im Gebrauch. Im Französischen wird „formule“ zur Bezeichnung sowohl der Musterurkunde als auch eines Teils derselben verwendet; dieFormelsammlung heißt allgemein „formulaire“8. Im Italienischen und Spanischen treffen „formula“ und „formulario“ ebenfalls unsere diplomatische Bedeutung; freilich hat „formula“ in beiden Sprachen auch andere Bedeutungen wie „Rezept“, und „formulario“ (ital. auch „raccolta di formule“) bezeichnet ebenfalls in beiden Sprachen auch „Vordruck“.

Für „forma“ hat im Italienischen Giovanna Nicolaj folgende diplomatische Bedeutung definiert: „Nel caso della diplomaticachiamiamo forma tutte quelle modalità di scrittura e tutte quelle caratterizzazioni mediante le quali fatti ed atti giuridici vengono rappresentati nel documento scritto e per le quali il documento stesso sussiste, svolge le sue funzioni e poi può essere studiato“9. Von „Formelsammlungen“ und „Formelbüchern“ sollte man jedoch nur dann sprechen, wenn die Mustertexte im wesentlichen rechtlichen Inhalts und stilistisch nur insofern bedeutsam sind, als sie den jeweiligen Rechtsinhalt genau wiedergeben. Überwiegt beim Mustertext dagegen die Stilistik und tritt der juristische Inhalt hinter dem politischen, kulturellen u.ä. zurück, sollte man von „Briefsammlungen“ (letter collections, collections de lettres, raccolte di lettere) sprechen10. Freilich sind die Übergänge fließend, und manche Sammlungen enthalten sowohl juristisch relevante Mustertexte für Urkunden als auch stilistisch im Rahmen der „ars dictandi“ meist im„stilus supremus“ verfaßte Briefe. Derartige Beispiele vorbildlichen Stils können den Text wirklich ausgegangener Briefe wiedergeben; häufig sind es jedoch Stilübungen11.


1 Ausführlich habe ich darüber gehandelt in Peter Herde, Audientia litterarum contradictarum. Untersuchungen über die päpstlichen Justizbriefe und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, Bd. I, Tübingen 1970 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. XXXI), S. 19-19, bes. S. 8-11.
2 Deutsches Wörterbuch von Jakob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. II, Leipzig 1862; Nachdruck München 1984, Sp. 1898-1900; Hermann Paul, Deutsches Wörterbuch, 9., vollständig neu bearbeitete Auflage von Helmut Henne und Georg Objartel unter Mitarbeit von Heidrun Kemper-Jensen, Tübingen 1997, S. 284-285.
3 H.Paul, Deutsches Wörterbuch…, S. 285.
4 H. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. II/1, Leipzig 1914; Nachdruck Berlin 1958, S. 226 Anm. 1. Italienische Ausgabe: Harry Bresslau, Manuale di diplomatica per la Germania e l’Italia, traduzione di Anna Maria Voci-Roth, Roma 1998 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato, Sussidi 10), S. 870 Anm. 1.
5 H.Paul, Deutsches Wörterbuch…, S. 286.
6 Ausführlich P. Herde, Audientia…, Bd. I, S. 7-9. An „Formel“ haben auch andere Forscher wie Carl Erdmann festgehalten, vgl. ebd. S. 7 Anm. 27.
7 The Compact Oxford English Dictionary, Second Edition, Oxford 1991, s.v. „form letter“: „a standardized letter, esp. one that can be sent to correspondents who inquire about routine matters or topics of frequent occurrence“. Im amerikanischen Englisch: Webster’s New Collegiate Dictionary, Springfield, Mass., 1973 u.ö., s.v.“form letter“: „ a letter on a subject of frequent recurrence that can be sent to different people without essential change except in the address“. Das entspricht durchaus auch unserer Definition von „Formel“ in der mittelalterlichen Diplomatik.
8 Vgl. Alain de Boüard, Manuel de diplomatique francaise et pontificale, [Bd. 1], Diplomatique générale, Paris 1929, S. 128-130; Georges Tessier, Diplomatique royale francaise, Paris 1962, S. 266-267; Olivier Guyotjeannin, Jacques Pycke et Benoit-Michel Tock, Diplomatique médiévale, Brepols 1993, S. 230.
9 Giovanna Nicolaj, Lezioni di diplomatica generale, I Istituzioni, Roma 2007, S. 89.
10 Vgl. Geoffrey Barraclough, Public Notaries and the Papal Curia: A Calendar and a Study of a Formularium notariorum curie from the Early Years of the Fourteenth Century, London 1934 (The British School at Rome), S. 1-9.
11 Zu dieser Problematik vgl. P. Herde, „Federico II e il papato. La lotta delle cancellerie“, in Peter Herde, Studien zur Papst-und Reichsgeschichte, zur Geschichte des Mittelmeerraumes und zum kanonischen Recht im Mittelalter, Stuttgart 2002 (P. Herde, Gesammelte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 2,1), S. 277-291.