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Die Formulae imperiales und die Urkunden Ludwigs des Frommen

Résumé

Das Formular der Urkunden hat unter Kaiser Ludwig dem Frommen († 840) eine grundsätzliche Überarbeitung und Stabilisierung erfahren. Zeugnis dieser Entwicklung gibt nicht zuletzt die aus dem Umkreis der kaiserlichen Kanzlei überlieferte Sammlung der Formulae imperiales, die auf realen, tatsächlich ausgefertigten Diplomen des Karolingers beruhen. Dieses Korpus, unikal überliefert im Cod. Lat. 2718 der Bibliothèque nationale in Paris, ist immer wieder als offizieller Formularbehelf der kaiserlichen Kanzlei angesehen worden. Dabei lässt schon die Überlieferungssituation Bedenken an dieser Deutung aufkommen. Ein Vergleich der Formeltexte mit den 418 auf uns gekommenen Urkunden Ludwigs des Frommen bestätigt diese Zweifel : Es lässt sich nicht nachweisen, dass die Sammlung tatsächlich als allgemein verbindliche Vorlage diente, die Kanzleimitarbeiter bei der Urkundenausstellung unmittelbar vor Augen hatten. Der Befund deutet vielmehr auf die variable, ‘mosaikartige’ Verarbeitung erlernten und durch häufigen Gebrauch dem Gedächtnis fest eingeprägten Formularguts, das die Notare flexibel und sicher handhabten. Bei den Formulae imperiales handelt es sich vermutlich um die private, unsystematische Gelegenheitssammlung eines in der Kanzlei tätigen Notars. Sie boten allenfalls eine Orientierung im Bedarfsfall. Am Hofe Ludwigs des Frommen genossen sie keinen wie auch immer gearteten ‘amtlichen’ Status.

Einleitung

Vom Formular der Urkunden Ludwigs des Frommen († 840) ist bekanntermaßen überaus Positives zu berichten1 : Es wird gegenüber jenem der Vorgänger beständiger, erfährt eine spürbare Festigung und Stabilisierung, ja es ist gerade die Kanzlei des zweiten Karolingerkaisers, die « neue Formulierungen für die schriftliche Fixierung wichtiger, ja zentraler Rechtsfiguren der Verfassung des fränkischen Rechts geschaffen »2 und für die Folgezeit geprägt hat3. Zeugnis dieser Entwicklung gibt nicht zuletzt die aus dem Umkreis der kaiserlichen Kanzlei überlieferte Sammlung der sogenannten Formulae imperiales4. Mit diesem Korpus habe ich mich im Rahmen meiner Dissertation ausführlich beschäftigt5. Einige meiner Ergebnisse seien hier vorgestellt.

Die Formulae imperiales, wie die anderen frühmittelalterlichen Formelsammlungen im M.G.H. Formulae-Band Karl Zeumers ediert6, bedeuteten für die seit 2004 in Bonn erarbeitete Edition der Urkunden Ludwigs des Frommen7 « einen Glücksfall und zugleich eine harte Nuß »8. So konnte die Texterstellung ein ums andere Mal von dem in den Formulae imperiales gespiegelten Kanzleiformular profitieren. Zu verweisen ist an dieser Stelle vor allem auf die zahlreichen Emendationen und Korrekturen verderbt überlieferter Urkundentexte, die auf dieser Grundlage möglich wurden. Darüber hinaus musste aber zwangsläufig auch die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis der beiden Quellenkorpora und der Rolle der Formulae imperiales in der Kanzlei Ludwigs des Frommen virulent werden. Hat man in ihnen ein konkretes Arbeitsinstrument der Kanzlei zu sehen? Haben sie den dort tätigen Notaren als offizielle Vorlagensammlung gedient, auf die bei der Erstellung der auszufertigenden Diplome rekurriert wurde? Um diese Fragen zu beantworten und zu einer belastbaren Bestimmung des Verhältnisses von Formelsammlung und Ludwigsdiplomen zu gelangen, galt es, dem konkreten Gebrauch des in den Formulae imperiales gespiegelten Formulars in den über 400 auf uns gekommenen Urkunden9 nachzugehen10. Damit verbunden sind Fragen zu Genese, Funktion und grundsätzlichem Charakter der Formulae imperiales wie auch generell zur Praxis ludowicianischer Urkundenkonzeption und zur Arbeitsweise der Kanzlei Ludwigs des Frommen.

I. Die Formulae imperiales – eine erste Annäherung

I.1. Überlieferungszusammenhang

Die Formulae imperiales werden unikal überliefert vom berühmten Cod. lat. 271811 der Bibliothèque nationale de France in Paris, einer schlichten Gebrauchshandschrift aus dem Kloster St-Martin in Tours, die von der Forschung in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts – genauer : um 830 – datiert wird12. Der Kodex enthält überwiegend theologische Texte, darunter Werke von Augustinus, Cyprian, Caesarius von Arles und Johannes Chrysostomos13. Dazwischen eingestreut findet sich ein Brief Karls des Großen an Alkuin und die Gemeinschaft von St-Martin14, eine Reihe von Kapitularientexten aus den Jahren 817 bis 82115 und schließlich die Formulae imperiales. Letztere sind in acht Gruppen über die Handschrift verteilt und überwiegend in Tironischen Noten geschrieben16.

Es handelt sich um insgesamt 55 Formeln, von denen 52 als Herrscherurkunden, als kaiserliche Diplome Ludwigs des Frommen anzusehen sind17. Bei allen 55 Texten haben wir es nicht mit frei konzipierten, gleichsam erfundenen Formeln zu tun, sondern es zeigt sich deutlich, dass der Redaktor reale, tatsächlich ausgefertigte Urkunden Ludwigs des Frommen benutzt und zu Formeln umgearbeitet hat. Dies geschah – wie bei Formeln üblich – jeweils unter Auslassung der Eingangsformeln und des Eschatokolls sowie durch eine Anonymisierung der individuellen Merkmale (Personennamen, Ortsnamen, Patrozinien etc.). Gerade diese Anonymisierung aber ist im Falle der Formulae imperiales nicht konsequent durchgeführt worden, sodass aus den belassenen Einzelmerkmalen ersichtlich wird, dass reale Diplome als Vorlage gedient haben müssen.

I.2. Entstehungsort, Datierung und Autor

Entstanden ist die Sammlung – daran kann kein Zweifel bestehen – im direkten Umkreis der Kanzlei Ludwigs des Frommen. Wo sonst hätte man sich Kenntnis all dieser Urkunden verschaffen können, noch dazu gerichtet an ein Empfängerspektrum, das sich geographisch gesehen über das gesamte Reich erstreckt? Wo sonst wird man ein besonderes Interesse an einer Sammlung wie den Formulae imperiales annehmen dürfen, wenn nicht in der Kanzlei selbst18? Datieren lässt sich die Zusammenstellung mit Theodor Sickel sicher in die Jahre 828-84019. Sickel hat den mutmaßlichen Entstehungszeitraum der Formulae imperiales sogar noch enger einzugrenzen versucht : Er hat ihre Zusammenstellung mit der Kanzlerschaft des Fridugis in Verbindung gebracht20, und große Teile der späteren Forschung sind ihm hierin gefolgt. Fridugis stand nicht nur von 819 bis 832 der kaiserlichen Kanzlei vor21, sondern fungierte auch seit 808 als Abt von St-Martin in Tours, jenem Kloster also, aus dem die Handschrift nachweislich stammt. Manchen gilt Fridugis geradezu als leitender Kopf der Zusammenstellung, als Spiritus Rector des Unternehmens22. Bei Annahme einer Entstehung unter Fridugis müsste die Sammlung folglich bis 832 zu einem Abschluss gekommen sein.

I.3. Inhalt und Sachbetreffe

Inhaltlich lässt sich konstatieren, dass alle gängigen Urkundentypen, wie sie die Überlieferung bewahrt hat, auch in den Formulae imperiales vertreten sind. Betreffe wie Immunität und Königsschutz, Zollfreiheit, Güterschenkungen, Besitzrestitutionen, Tauschbestätigungen – kurz : das, was man als « das tägliche Brot eines frühmittelalterlichen Herrschers »23 wird bezeichnen können – haben auch Eingang in die Formelsammlung gefunden. Die im Vergleich zum überlieferten Urkundenbestand nicht vertretenen Betreffe sind zumeist speziellerer Natur : Rechtsmaterien wie Münze24, Klosterreform25, Jagd26 oder die Bestätigung von Diözesangrenzen27 mögen als Stichworte genügen. Daneben erscheinen in den Formulae imperiales aber auch mancherlei Betreffe, die sich nicht in Ausfertigungen erhalten haben und insbesondere die Belange von Laien berühren. Dazu zählen etwa die Aufnahme von Einzelpersonen in den Schutz des Herrschers (Form. imp. 48, 55)28 sowie Gewährung, Sicherung und Restitution persönlicher Freiheit (Form. imp. 1, 5, 8, 9, 14, 45, 51, 53)29. Auch die drei für Juden bzw. jüdische Gemeinschaften ausgestellten Privilegien (Form. imp. 30, 31, 52)30 mit den umfangreichen darin verbrieften Rechten und getroffenen Regelungen finden im überlieferten Urkundenbestand Ludwigs des Frommen keine Entsprechung. Die Formulae imperiales lassen folglich die Vielgestaltigkeit des Urkundengeschäftes unter Ludwig dem Frommen deutlicher hervortreten als der überlieferte Urkundenbestand31. Bemerkenswert ist vor allem der Anteil der an Laien gegebenen Stücke, nämlich gut die Hälfte32. Eine solche Relation findet im Korpus der überlieferten Ludwigsdiplome keine auch nur annähernde Entsprechung. Hier dominieren eindeutig die geistlichen Empfänger. Das verwundert indessen nicht, hatten die für Laien ausgestellten Urkunden doch in der Regel nur dann eine Chance überliefert zu werden, wenn sie auf irgendeinem Weg in ein kirchliches Archiv gelangten. Der Befund der Formulae imperiales lässt immerhin erahnen, wie vieles hier im Laufe der Zeit verloren gegangen sein muss. Auch wenn wir natürlich kein methodisches Korrektiv besitzen, steht fest, dass die Urkundenausstellung an weltliche Empfänger weitaus höher zu veranschlagen sein dürfte, als es die Überlieferung auf den ersten Blick vermuten lässt33. Wie insbesondere Warren C. Brown und Alice Rio jüngst gezeigt haben34, sind es nicht umsonst vor allem die frühmittelalterlichen Formelsammlungen, die uns wertvolle Einblicke in die Rechtsbelange und die Schriftlichkeit von Laien gewähren.

II. Vergleich mit den Urkunden Ludwigs des Frommen

II.1. Formeltexte mit überlieferter Vorlage

Beim Blick auf den Gebrauch des in den Formulae imperiales gespiegelten Formulars ergibt sich ein differenziertes Bild35. Zunächst ist festzuhalten : Für insgesamt fünf der Formeltexte (Form. imp. 11b, 15, 20, 29b, 39)36 existiert neben der in den Formulae imperiales tradierten Textform eine separate Überlieferung. Mit anderen Worten : Das zugrunde liegende Diplom, die Urkunde also, die der Formel offensichtlich als Vorlage gedient hat, ist als solche auf uns gekommen und somit natürlich auch Gegenstand der künftigen Ludwigsedition37. In einem Fall (Form. imp. 11b) ist die Vorlage (BM² 753 für die Bischofskirche von Paderborn) sogar im Original erhalten. Als interessant erweist sich auch Form. imp. 20, eine Bestätigung der Zollfreiheit, die mit BM² 544 in Verbindung zu bringen ist. Da die Urkunde selbst nur in einer schlechten Abschrift auf uns gekommen ist, muss der Editor hier auf den Text der Formulae imperiales zurückgreifen38.

II.2. Voll- und Teilentsprechungen

Von solchen seltenen Parallelüberlieferungen abgesehen, stellt sich das Verhältnis zwischen Formelsammlung und Urkundenkorpus wie folgt dar : Formulae imperiales-Diktat ist vor allem in einem Fall in ganz ausgeprägtem Maße zu beobachten, nämlich bei den in großer Zahl überlieferten Tauschbestätigungen Ludwigs des Frommen39. Für diese hat die Kanzlei, wie schon von Philippe Depreux festgestellt40, fast durchweg ein standardisiertes Formular benutzt, das Form. imp. 3 entspricht41. Abweichungen hiervon sind nur in Ausnahmefällen zu verzeichnen42. Fassungen, die einem der Formulae imperiales-Texte in Gänze oder doch in wesentlichen Teilen entsprechen, lassen sich darüber hinaus vor allem in Immunitätsurkunden, Zollbefreiungen und Schenkungen greifen43. Hier ist dies allerdings deutlich seltener der Fall als bei den Tauschbestätigungen. Insgesamt können wir lediglich in knapp jeder siebten Urkunde die Vollentsprechung mit einer Formel konstatieren ; lässt man die Tauschbestätigungen unberücksichtigt, handelt es sich sogar nur um jede vierzehnte. Selbst wenn man Faktoren in Rechnung stellt, die die Zahl potentieller Übereinstimmungen von vornherein reduzieren – zu denken ist etwa an Fälschungen, Empfängerdiktate oder die nicht vollständige Kongruenz der Rechtsbetreffe zwischen Formel- und Urkundenkorpus –, nimmt sich diese Zahl nicht übermäßig hoch aus. Entsprechendes gilt, wenn man die Übereinstimmungen von den Formulae aus betrachtet : Hier begegnet nur ca. jede dritte Formel einmal oder öfter in Vollentsprechung. Rund zwei Drittel der Formulare lassen sich entweder überhaupt nicht im Urkundenkorpus greifen oder tauchen lediglich in einzelnen Textbestandteilen auf. Solche Teilentsprechungen finden sich zwar in einer Vielzahl von Urkunden ; sie beschränken sich in der Regel jedoch auf einzelne Klauseln oder kurze Passagen. Oft finden sich nur Versatzstücke einer Formel.

II.3. Mischformulare

Als weiteres Phänomen neben den Voll- und Teilentsprechungen sind die Fälle zu nennen, in denen wir es mit einer Art ‘Mischformular’ zu tun haben. Hier scheinen Elemente verschiedener Formulae-Texte miteinander kombiniert. Besonders häufig lässt sich eine solche Konstellation bei der Gruppe der Immunitäts- und Schutzurkunden beobachten44. Diese – aber auch andere Urkundentypen – entsprechen oftmals nicht einer der einschlägigen Formeln, sondern Bestandteile verschiedener Formulae scheinen gleichsam ineinander verwoben. Solche ‘Amalgame’ lassen sich in zwei Gruppen unterteilen : Im günstigeren Fall können die Elemente der verschiedenen Formulae einigermaßen klar voneinander unterschieden werden, indem etwa die erste Hälfte der Urkunde mit der einen Formel und die zweite mit einer anderen in Übereinstimmung zu bringen ist. Als eines von zahlreichen Beispielen mag an dieser Stelle BM² 998, die Verleihung der freien Abtswahl an das Kloster Kempten vom 1. September 839, dienen: Zunächst geht sie mit Form. imp. 11b einher und entspricht im eigentlichen Abtswahlpassus dann erwartungsgemäß Form. imp. 4.

Aber bei weitem nicht immer lassen sich die einzelnen Bausteine so klar voneinander scheiden. Nicht selten ist der Formularbefund sehr viel komplexer. Elemente einer ganzen Reihe einschlägiger Formeln aufnehmend, stellen sich die Dinge bei vielen Urkunden derart verwickelt dar, dass sinnvolle Aussagen über Entsprechungen mit der einen oder der anderen Formel unmöglich werden45. Insgesamt ergibt sich somit ein relativ komplexer Befund, der uns zur Frage nach dem grundsätzlichen Charakter und der Funktion der Formulae imperiales führt.

III. Bedeutung für die Bewertung der Formelsammlung

III.1. ‘Offizielles Kanzleiinstrument’ oder ‘Gelegenheitsammlung’?

Gerade in der älteren Literatur liest es sich nicht selten so, als habe man in den Formulae imperiales ein offizielles Kanzleiinstrument, gleichsam die amtliche, von allen Notaren zu konsultierende Mustersammlung der Kanzlei Ludwigs des Frommen zu sehen46. Vor dem Hintergrund des Gesagten spricht aber wenig für eine solche Charakterisierung. Zwar spiegeln die Formeln ganz zweifellos gängiges Urkundendiktat der Kanzlei Ludwigs des Frommen ; es lässt sich aber nicht nachweisen, dass die uns hier überlieferte Zusammenstellung tatsächlich als allgemein verbindliche Vorlage diente, die Kanzleimitarbeiter bei der Urkundenausstellung unmittelbar vor Augen hatten. Der Befund deutet vielmehr auf die variable, quasi ‘mosaikartige’ Verarbeitung erlernten und durch häufigen Gebrauch dem Gedächtnis fest eingeprägten Formularguts, das die Notare relativ sicher zu handhabten und entsprechend flexibel einzusetzen vermochten, ohne dabei jeweils auf starre Vorlagen zurückgreifen zu müssen.

Der Formularvergleich stützt insofern die in der jüngeren Forschung schon vor dem Hintergrund der Überlieferungssituation geäußerte Vermutung, dass es sich beim Cod. lat. 2718 nicht um ein offizielles, allgemein zugängliches Werk handelte47. Der Kodex erscheint mit seinem kleinen, unregelmäßigen Querformat, hergestellt unter Verwendung von Pergamentresten, und seiner Mischung aus theologischen Texten, Kapitularien und Formulae wie die Kompilation eines in der Kanzlei tätigen, wohl mit St-Martin in Tours verbundenen Notars und Hofgeistlichen. Wahrscheinlich handelt es sich um ein für den persönlichen Gebrauch angefertigtes, über einen längeren Zeitraum entstandenes Hand- und Notizbuch, eine Art privates Konzeptheft. Die gemischte Zusammenstellung und dichte Anordnung der Texte – man denke nicht zuletzt an die in acht Gruppen über den gesamten Kodex verteilten Formeln – lassen jedenfalls nicht an ein offizielles Referenzwerk der Gesamtkanzlei denken, das einer größeren Zahl von Notaren eine rasche Orientierung innerhalb der Handschrift und eine effektive Nutzung der Texte erlaubt hätte.

In der Zusammenschau spricht vieles dafür, in den Formulae imperiales eine Art unsystematische Gelegenheitssammlung48, ja eine bis zu einem gewissen Grade zufällige Kompilation zu sehen. Für eine solche Charakterisierung sprechen im Übrigen auch weitere Indizien, etwa jene Immunitäts- und Schutzbestätigung für Tours (BM² 629), die als Form. imp. 29b Eingang in die Sammlung gefunden hat und mit ihrem vollkommen ungewöhnlichen Formular, « plus ou moins isolé parmi les diplômes de Louis le Pieux »49, unter den sonstigen Immunitätsurkunden eine Sonderstellung einnimmt50. Man kommt nicht umhin, sich die Frage zu stellen, aus welchem Grund ein derart außergewöhnlicher Text, dem für das konkrete Beurkundungsgeschäft wenig Nutzen beigemessen werden kann, Aufnahme in die Sammlung gefunden hat. Keineswegs abwegig erscheint die Vermutung, dass hierbei weniger pragmatische Erwägungen, d. h. die Verwendbarkeit im Rahmen der praktischen Urkundenerstellung, als vielmehr die besondere Bedeutung des Stückes für das Heimatkloster des Kompilators im Vordergrund des Interesses gestanden haben könnte.

III.2. (Be-)Nutzung und Zweck

Die Identifizierung der Formeln als private Gelegenheitssammlung schließt die verschiedentliche Heranziehung der Texte für die konkrete Urkundenproduktion natürlich nicht aus, denn als Formeln, d. h. als Mustertexte zur Erstellung von Urkunden, sind sie zweifellos konzipiert und gedacht. Möglich ist, dass bei der Zusammenstellung des Cod. lat. 2718 der in diesem Zusammenhang oft genannte Touroner Mönch Hirminmaris51 eine Rolle gespielt haben könnte, der von 816 bis 839 als Rekognoszent in der kaiserlichen Kanzlei belegt ist52. Zumindest dürfen ihm als Kanzleimitarbeiter Ludwigs des Frommen gute Einblicke in die Urkundenproduktion und sonstigen Geschäfte des Reiches unterstellt werden ; seine Herkunft würde die Häufung theologischer Texte und St-Martin betreffender Inhalte erklären53.

Von Interesse wäre außerdem, ob wir in den auf uns gekommenen Formeln eine originäre Sammlung vor uns haben oder vielmehr die partielle, unsystematische Abschrift aus einer umfangreicheren Kanzleisammlung. Der Gedanke an eine solche Vorlage mag auf den ersten Blick als willkommener Ausweg erscheinen, um die geringe Zahl von Vollentsprechungen zu erklären ; er lässt sich aber schwerlich mit der Struktur der erhaltenen Kompilation vereinbaren. Deren Umfang und thematische Ausgewogenheit deuten darauf hin, dass eine vermeintliche Vorlage kaum umfangreicher gewesen sein kann als das auf uns Gekommene. Wenn es eine ältere Sammlung gab, hätte sie wohl weitgehend mit den im Cod. lat. 2718 erhaltenen Formeln identisch sein müssen.

Die Konsequenzen liegen auf der Hand : Die Formulae imperiales und eventuelle weitere schriftliche Muster boten nach Lage der Dinge – und das bleibt festzuhalten – lediglich eine Orientierung im Bedarfsfall ; sie genossen keinen offiziellen, sozusagen ‘amtlichen’ Status, dem es sich gänzlich zu unterwerfen galt. Die auf uns gekommene Sammlung und die in den Urkunden immer wieder begegnenden Varianzen sprechen für die ausgeprägte Befähigung der Notare, gängige Wendungen und Schemata zu memorieren und – um mit Theodor Sickels Worten zu sprechen – « sich ohne aus der Construction zu fallen in allerlei Varianten [zu] bewegen »54. In dieselbe Richtung geht das Urteil Edmund E. Stengels, der mit Blick auf die Entstehung der Immunitätsurkunden resümiert : « Bei der Arbeit […] erwarben die Schreiber bald eine solche Routine, daß sie zwar im allgemeinen an einem Muster festhielten – und das kon[n]te sowohl eine in ihrem Gedächnis haftende Formel wie eine Urkunde sein –, dann aber doch halb schematisch wie sie vorgingen, in Wendungen aus anderen Fassungen verfielen. »55 Was Stengel und Sickel nur vermuten bzw. mit Blick auf bestimmte Betreffe postulieren konnten, lässt sich durch den Textvergleich für das gesamte Korpus belegen.

Schlussfolgerungen

Dieser Befund bleibt nicht ohne Auswirkungen auf unser Verständnis von Kanzlei und Schriftlichkeit im Umfeld Ludwigs des Frommen : So wird man in der Kompilation der Formulae imperiales nicht länger eine karolingerzeitliche Formelsammlung im strengen Sinne sehen können, wie man sie sich bis in die jüngste Vergangenheit lange Zeit idealtypisch vorstellte56. Alice Rio bemerkt völlig zu Recht : « […] these formulae cannot be considered as an ‘official’ collection in any but the most limited sense : that is, that the owner of the manuscript could have used them to produce official documents, which hardly amounts to the same thing. »57 In der Tat : Der Betreffende dürfte seine Privatarbeit dazu genutzt haben, um Urkunden auszustellen oder die hierfür notwendigen Kenntnisse weiterzuvermitteln. Fraglos haben wir also eine Art Formelsammlung vor uns ; diese Art von Formelsammlung hat aber wenig mit dem gemein, was man sich nur allzu schnell unter einer solchen Kompilation zu denken geneigt ist. Ein kanzleioffizielles Formularhandbuch, mithin ein Kanzleibehelf im eigentlichen Sinne, sind die Formulae imperiales nie gewesen. Von aus den anstaltsstaatlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts erwachsenen Vorstellungen, wie sie das Bild der Kanzlei so nachhaltig geprägt haben, muss man sich auch in Bezug auf diese Sammlung verabschieden.


1 Überarbeitete und erweiterte Fassung des am 3. September 2012 in Paris gehaltenen Vortrags ; die Form der gesprochenen Rede wurde weitgehend beibehalten. Eine nur leicht veränderte Fassung habe ich im Frühjahr 2013 auf einem Bonner Symposium vorgetragen und im daraus hervorgegangenen Tagungsband veröffentlicht: Sarah Gross-Luttermann, « Zum Formulargebrauch in der kaiserlichen Kanzlei. Ergebnisse eines Vergleichs zwischen den „Formulae imperiales“ und den Urkunden Ludwigs des Frommen », in Zwischen Tradition und Innovation: Die Urkunden Kaiser Ludwigs des Frommen (814–840). Referate des Kolloquiums der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste am 19. April 2013 in Bonn, hg. von Theo Kölzer, Paderborn, 2014 (Abhandlungen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, 128), S. 85-99. – Für die ehrenvolle Einladung möchte ich den Organisatoren der Pariser Tagung herzlich danken, ebenso den Diskutanten für wertvolle Anregungen. Mein Dank gilt aber vor allem meinem Doktorvater, Prof. Dr. Theo Kölzer, der mich ermutigte, erste Ergebnisse meiner Doktorarbeit bereits vor deren Abschluss einem internationalen Fachpublikum vorzustellen.
2 Peter Johanek, « Probleme einer zukünftigen Edition der Urkunden Ludwigs des Frommen », in Charlemagnes Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814-840), hg. von Peter Godman und Roger Collins, Oxford, 1990, S. 409-424, auf S. 418.
3 Zum Urkundenformular Ludwigs des Frommen vgl. zusammenfassend Theodor Sickel, Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata. Die Urkunden der Karolinger, Bd. 1 : Lehre von den Urkunden der ersten Karolinger (751-840), Wien, 1867, S. 158-166.
4 Zu dieser Sammlung vgl. ebd., S. 116-121.
5 Sarah Patt, Studien zu den ‚Formulae imperiales‘. Urkundenkonzeption und Formulargebrauch in der Kanzlei Kaiser Ludwigs des Frommen (814-840), Wiesbaden, 2016 (M.G.H., Studien und Texte, 59) [im Druck].
6 Formulae imperiales e curia Ludovici Pii, in Formulae Merowingici et Karolini aevi, ed. Karl Zeumer, Hannover, 1882-1886, Ndr. ebd., 2001 (M.G.H., Formulae), S. 285-328. Ihre Erstedition erfuhren die Formulae imperiales Mitte des 18. Jahrhunderts durch den französischen Benediktiner Dom Pierre Carpentier (1697-1767), nach dem die Texte zunächst als ‘Carpentiersche Formeln’ bezeichnet wurden : Pierre Carpentier, Alphabetum Tironianum, seu notas Tironis explicandi methodus ; Cum pluribus Ludovici Pii Chartis, quae notis iisdem exaratae sunt & hactenus ineditae, ad Historiam & Jurisdictionem cum ecclesiasticam, tum civilem pertinentibus, Paris, 1747. Zu Carpentier vgl. Michel Prevost, Art. « 10. Carpentier (Pierre) », in Dictionnaire de biographie française, 7 (1956), Sp. 1214 f.
7 Die Urkunden Ludwigs des Frommen, unter Mitwirkung von Jens Peter Clausen, Daniel Eichler, Britta Mischke, Sarah Patt, Susanne Zwierlein u. a. bearb. von Theo Kölzer, 3 Bde. (M.G.H., Diplomata Karolinorum, 2) [im Druck]. Zusammenfassend zu diesem Editionsunternehmen vgl. ders., Kaiser Ludwig der Fromme (814-840) im Spiegel seiner Urkunden, Paderborn u. a., 2005 (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaften, Vorträge G 401), und ders., « Die Edition der Urkunden Kaiser Ludwigs des Frommen », in Zwischen Tradition und Innovation..., hg. von dems., S. 15-30.
8 Peter Johanek, « Herrscherdiplom und Empfängerkreis. Die Kanzlei Ludwigs des Frommen in der Schriftlichkeit der Karolingerzeit », in Schriftkultur und Reichsverwaltung unter den Karolingern. Referate des Kolloquiums der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften am 17./18. Februar 1994 in Bonn, hg. von Rudolf Schieffer, Opladen, 1996 (Abhandlungen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, 97), S. 167-188, auf S. 188.
9 Einen ersten – allerdings noch dem damaligen Stand der Arbeiten entsprechenden und inzwischen in manchen Punkten zu revidierenden – Überblick über den Urkundenbestand vermittelt die bei Th. Kölzer, Kaiser Ludwig der Fromme..., im Anhang abgedruckte Urkundentabelle. Die Edition umfasst insgesamt 418 Texte. Hinzu kommen 227 Deperdita, rund 20 (größtenteils als Regest gebotene) Briefe, vier Unterfertigungen und sechs moderne Fälschungen, die für meine Untersuchung allerdings nicht bzw. allenfalls von nachgeordneter Bedeutung sind.
10 . Entsprechungen zwischen Formulae-Texten und Ludwigsurkunden sind in der Literatur verschiedentlich thematisiert worden, so von Karl Zeumer im M.G.H. Formulae-Band selbst, darüber hinaus vor allem bei Theodor Sickel (Beiträge zur Diplomatik, bes. « Beiträge zur Diplomatik III. Die Mundbriefe, Immunitäten und Privilegien der ersten Karolinger bis zum Jahre 840 », in: Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Wien, 47 (1864), S. 175-277 [wiederabgedr. in Beiträge zur Diplomatik. 8 Teile in 1 Band, Hildesheim-New York, 1975, S. 175-277] ; Acta…, Bd. 1, und Bd. 2 : Regesten der Urkunden der ersten Karolinger (751-840), Wien, 1867), Böhmer-Mühlbacher² (Regesta Imperii, Abt. 1 : Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751-918, Bd. 1, nach Johann Friedrich Böhmer neubearb. von Engelbert Mühlbacher, vollendet von Johann Lechner, Innsbruck, ²1908, von Carlrichard Brühl und Hans Heinrich Kaminsky erg. Ndr. Hildesheim, 1966), Edmund E. Stengel (Die Immunität in Deutschland bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. Forschungen zur Diplomatik und Verfassungsgeschichte, T. 1 : Diplomatik der deutschen Immunitäts-Privilegien vom 9. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Innsbruck, 1910, Ndr. Aalen, 1964) oder Alain J. Stoclet ( Immunes ab omni teloneo. Étude de diplomatique, de philologie et d’histoire sur l’exemption de tonlieux au haut Moyen Age et spécialement sur la Praeceptio de navibus, Brüssel-Rom, 1999 [Institut Historique Belge de Rome. Bibliothèque - Belgisch Historisch Instituut te Rome. Bibliotheek, 45]). Eine umfassende, systematische Aufarbeitung der Problematik ist bislang aber nicht erfolgt.
11 Zu dieser Handschrift vgl. Bibliothèque nationale. Catalogue général des manuscrits latins, Bd. 3 : Nos 2693 à 3013A, Paris, 1952, S. 22-25, und Hubert Mordek, Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta. Überlieferung und Traditionszusammenhang der fränkischen Herrschererlasse, München, 1995 (M.G.H., Hilfsmittel, 15), S. 422-430. Einen Überblick über die Handschrift bieten auch ders., « Kapitularien und Schriftlichkeit », in Schriftkultur..., hg. von R. Schieffer, S. 34-66, auf S. 61 ff., und Alice Rio, Legal Practice and the Written Word in the Early Middle Ages. Frankish Formulae, c. 500-1000, Cambridge u. a., 2009 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series, [75]), S. 252 ff.
12 Zur Datierung vgl. Bibliothèque nationale. Catalogue..., Bd. 3, S. 25 ; H. Mordek, Bibliotheca..., S. 422 ; A. Rio, Legal Practice..., S. 252.
13 Zu den theologischen Inhalten vgl. David Ganz, « Paris BN Latin 2718 : Theological Texts in the Chapel and the Chancery of Louis the Pious », in Scientia veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, hg. von Oliver Münsch und Thomas Zotz, Ostfildern, 2004, S. 137-152.
14Alcuini sive Albini epistolae, in M.G.H., Epp., 4, ed. Ernst Dümmler, Berlin, 1895, S. 1-481, auf S. 399 ff., Nr. 247. Zum Inhalt des Schreibens vgl. Böhmer-Mühlbacher², S. 176, Nr. 392.
15 Im Einzelnen handelt es sich um folgende Texte : die Capitula de functionibus publicis (Capitularia regum Francorum, Bd. 1, ed. Alfred Boretius, Hannover, 1883, Ndr. ebd., 1984 [M.G.H., Capit., 1], S. 294 f., Nr. 143), die – nur hier überlieferte – Ordinatio imperii (ebd., S. 270-273, Nr. 136), das Hludowici prooemium generale ad capitularia tam ecclesiastica quam mundana (ebd., S. 273 ff., Nr. 137), das Capitulare ecclesiasticum (ebd., S. 275-280, Nr. 138), die Capitula legibus addenda (ebd., S. 280-285, Nr. 139), die Capitula per se scribenda (ebd., S. 285-288, Nr. 140), das Capitulare missorum (ebd., S. 288-291, Nr. 141)‚ noch einmal die Capitula de functionibus publicis (s. o.), die Capitula de iustitiis faciendis (ebd., S. 295 f., Nr. 144) und die Responsa imperatoris de rebus fiscalibus data (ebd., S. 296 f., Nr. 145).
16 Zum Inhalt der Handschrift vgl. die oben Anm. 11 genannte Literatur. Die acht Formelgruppen verteilen sich wie folgt über das Manuskript : Bl. 72-v : Form. imp. 1-7 ; Bl. 73-76 : Form. imp. 8-31 ; Bl. 78 : Form. imp. 32-33 ; Bl. 80-v : Form. imp. 34-37 ; Bl. 84v-85v : Form. imp. 38-41 ; Bl. 111v : Form. imp. 42-44 ; Bl. 125-127 : Form. imp. 45-53 ; Bl. 134v : Form. imp. 54-55.
17 . Hinzu kommen drei Mustertexte für Privaturkunden : M.G.H., Formulae, S. 311 f., Nr. 33, S. 313, Nr. 35, S. 326, Nr. 54. In zwei textlich eng zusammenhängenden Fällen (Form. imp. 33 und 35) haben wir es mit Freilassungsurkunden für Hörige zu tun, die in den geistlichen Stand eintreten. Als Aussteller von Form. imp. 35 begegnet dabei kein Geringerer als Einhard in seiner Funktion als Laienabt des Servatiusklosters in Maastricht. Bei der dritten Privaturkunde (Form. imp. 54) handelt es sich um eine Tauschurkunde zwischen einem Abt und einem Grafen.
18 Vgl. Th. Sickel, Acta..., Bd. 1, S. 119 f.
19 828 ist eine in Form. imp. 37 (M.G.H., Formulae, S. 314 f., Nr. 37) genannte Jahreszahl – die Sammlung kann also erst nach diesem zeitlichen Fixpunkt zum Abschluss gekommen sein. Als Terminus ante quem wiederum dürfte das Todesjahr Ludwigs des Frommen anzunehmen sein, enthält die Sammlung doch ausschließlich Urkunden dieses Herrschers ; vgl. Th. Sickel, Acta..., Bd. 1, S. 119.
20 Ebd., S. 120. Zu Fridugis vgl. Philippe Depreux, Prosopographie de l’entourage de Louis le Pieux (781-840), Sigmaringen, 1997 (Instrumenta, 1), S. 199-203, Nr. 104.
21 Erstbeleg für Fridugis’ Kanzlerschaft ist BM² 700 vom 17. August 819. Letztmals begegnet er am 28. März 832 in einer Urkunde für das Kloster Kempten (BM² 899). BM² †955, in dem Fridugis ein weiteres Mal auftaucht, ist ein Spurium ; zum vorgeblichen Ausstellungszeitpunkt, dem 16. Februar 836, war er bereits verstorben. – Die Urkunden Ludwigs des Frommen werden zur einfacheren Identifizierung, wie bislang üblich, nach ihren BM²-Nummern zitiert.
22 Vgl. exemplarisch Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige, T. 1 : Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle, Stuttgart, 1959 (M.G.H., Schriften, 16/1), S. 82 ; Otto Dickau, « Studien zur Kanzlei und zum Urkundenwesen Kaiser Ludwigs des Frommen. Ein Beitrag zur Geschichte der karolingischen Königsurkunde im 9. Jahrhundert », in Archiv für Diplomatik, 34 (1988), S. 3-156 ; 35 (1989), S. 1-170, hier T. 2, auf S. 119 ; Egon Boshof, Ludwig der Fromme, Darmstadt, 1996 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), S. 106 f.
23 Th. Kölzer, Kaiser Ludwig der Fromme..., S. 26.
24 So verliehen am 1. Juni 833 an das Kloster Corvey (BM² 922). Es handelt sich um die älteste im Text erhaltene Verleihung dieses Rechtstitels. Die Echtheit dieses Stücks ist alles in allem wohl nicht infrage zu stellen ; vgl. künftig die Vorbemerkung sowie Heike Bartel, « Das Münzprivileg Ludwigs des Frommen für Corvey (BM² 922) », in Archiv für Diplomatik, 58 (2012), S. 147-168. Ein zweites Münzprivileg Ludwigs des Frommen, BM² †959 für die Bischofskirche von Le Mans, ist dagegen als Fälschung anzusehen ; vgl. auch hierzu künftig die Vorbemerkung.
25 Vgl. BM² 839 und 898 für das Kloster Montier-en-Der sowie BM² 905 für St-Denis bei Paris.
26 Vgl. BM² 726 (interpoliert) für das Kloster St-Bertin, das eine Vorurkunde Karls des Großen (Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen, unter Mitwirkung von Alfons Dopsch, Johann Lechner, Michael Tangl bearb. von Engelbert Mühlbacher, Hannover, 1906, Ndr. München, 1991 [M.G.H., Diplomata Karolinorum, 1], S. 256 f., Nr. 191) bestätigt.
27 Vgl. BM² 707 (verunechtet), worin Ludwig der Fromme, der Festlegung seines Vaters (D KdGr. 211) folgend, die Abgrenzung der Diözesen Salzburg und Aquileia bestätigt.
28 M.G.H., Formulae, S. 323, Nr. 48, S. 326 f., Nr. 55.
29 Ebd., S. 288, Nr. 1, S. 291, Nr. 5, S. 293, Nr. 8 und 9, S. 296, Nr. 14, S. 321, Nr. 45, S. 324 f., Nr. 51, S. 325 f., Nr. 53. In zwei Fällen (Form. imp. 1, 14) handelt es sich um ‘reine’ Freiheitsgewährungen/-restitutionen, während Form. imp. 8, 9, 45, 51 und 53 die persönliche Freiheit mit einer gleichzeitigen Rückerstattung bzw. Konfirmation des Besitzes verbinden. Zu Form. imp. 5 vgl. P. Johanek, « Herrscherdiplom... », S. 186, Anm. 82. An Laien gerichtete Besitzrestitutionen bzw. -bestätigungen finden sich zwar auch im überlieferten Urkundenbestand (BM² 567 [interpoliert], 622, 696, 739, 988, 995, 997, 1006), jedoch niemals in Kombination mit dem hier in Rede stehenden Betreff der persönlichen Freiheit.
30 M.G.H., Formulae, S. 309 f., Nr. 30, S. 310 f., Nr. 31, S. 325, Nr. 52. Zu diesen Formeln vgl. James W. Parkes, The Jew in the medieval community. A study of his political and economic situation, New York, ²1976, S. 158 ff., und Christof Geisel, Die Juden im Frankenreich. Von den Merowingern bis zum Tode Ludwigs des Frommen, Frankfurt a. M. u. a., 1998 (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte. Studien und Texte, 10), S. 500-537.
31 Ähnlich schon P. Johanek, « Herrscherdiplom... », S. 186.
32 . Formeln, die ausschließlich Laien betreffen : Form. imp. 1, 2, 5, 8, 9, 10, 14, 27, 30, 31, 32, 34, 38, 41, 42, 43, 44, 45, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 55 ; Formeln, die sowohl Laien als auch Geistliche betreffen können : Form. imp. 3 ; Formeln, die sich an öffentliche Funktionsträger richten : Form. imp. 7, 15, 37.
33 So schon Th. Kölzer, Kaiser Ludwig der Fromme..., S. 18. Zum grundsätzlichen methodischen Problem vgl. Arnold Esch, « Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers », in Historische Zeitschrift, 240 (1985), S. 529-570 (wiederabgedr. in ders., Zeitalter und Menschenalter. Der Historiker und die Erfahrung vergangener Gegenwart, München, 1994, S. 39-69).
34 Warren C. Brown, « When documents are destroyed or lost : lay people and archives in the early Middle Ages », in Early Medieval Europe, 11 (2002), S. 337-366 ; ders., « Die karolingischen Formelsammlungen – warum existieren sie? », in Die Privaturkunden der Karolingerzeit, hg. von Peter Erhart, Karl Heidecker, Bernhard Zeller, Dietikon-Zürich, 2009, S. 95-101, auf S. 95 ; A. Rio, Legal Practice..., passim, bes. S. 9-26 ; dies., « Les formulaires et la pratique de l’écrit dans les actes de la vie quotidienne (VIe-Xe siècle) », in Médiévales, 56 (2009), S. 11-22.
35 Zu den im Folgenden referierten Ergebnissen, Zahlen und Beispielen des Formularvergleichs vgl. die ausführliche Dokumentation in meiner Dissertation (siehe Anm. 5).
36 M.G.H., Formulae, S. 294 f., Nr. 11b, S. 296 f., Nr. 15, S. 300 f., Nr. 20, S. 307 f., Nr. 29b, S. 316 f., Nr. 39.
37 Es handelt sich um folgende Stücke : BM² 544 (= Form. imp. 20), BM² 545 (= Form. imp. 39), BM² 629 (= Form. imp. 29b), BM² 751 (= Form. imp. 15), BM² 753 (= Form. imp. 11b).
38 In der künftigen Edition werden beide Texte im Paralleldruck geboten. Die Fassung der Formulae imperiales muss aber als die zuverlässigere gelten.
39 Insgesamt haben wir im überlieferten Urkundenkorpus 36 Fälle derartiger Tauschbestätigungen zu verzeichnen. Zu dieser Urkundengattung vgl. Philippe Depreux, « The Development of Charters Confirming Exchange by the Royal Administration (Eighth-Tenth Centuries) », in Charters and the Use of the Written Word in Medieval Society, hg. von Karl Heidecker, Turnhout, 2000 (Utrecht Studies in Medieval Literacy, 5), S. 43-62.
40 Ebd.
41 28 der 36 Tauschbestätigungen weisen durchgängig oder doch zumindest weitgehend die in Form. imp. 3 (M.G.H., Formulae, S. 289, Nr. 3) niedergelegte Fassung auf.
42 In zwei Fällen (BM² 574, 794) finden sich zumindest am Anfang und am Schluss noch eindeutige Anklänge an dieses Formular, während sich der Mittelteil angesichts inhaltlicher Besonderheiten davon löst. Eine Urkunde (BM² 971) erinnert allenfalls noch entfernt an Form. imp. 3, und nur in zwei Stücken (BM² †703, 719) lässt sich dieses übliche Formular für Tauschbestätigungen überhaupt nicht nachweisen – eins davon ist bezeichnenderweise eine Fälschung (BM² †703). Zwei weitere Fälle (BM² 987, 996) entsprechen zwar nicht Form. imp. 3, dafür jedoch Form. imp. 36 (M.G.H., Formulae, S. 314, Nr. 36), die ebenfalls eine Tauschbestätigung darstellt.
43 Häufiger im Urkundenkorpus zu greifen sind Immunitätsdiplome mit dem in Form. imp. 28 (ebd., S. 306 f., Nr. 28) begegnenden Formular, Zollbefreiungen, deren Fassung Form. imp. 20 (ebd., S. 300 f., Nr. 20) entspricht, oder Güterschenkungen an Laien, die mit Form. imp. 27 (ebd., S. 305 f., Nr. 27) parallel gehen, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen.
44 Die Formulae imperiales weisen mit Form. imp. 4, 11, 12, 13, 28 und 29 mehrere einschlägige Formulare auf : Bei Form. imp. 4 (ebd., S. 290 f., Nr. 4) handelt es sich um eine Verleihung von Immunität und freier Abtswahl, bei Form. imp. 11 (ebd., S. 294 f., Nr. 11) und 12 (ebd., S. 295, Nr. 12) um Verleihungen von Immunität und Königsschutz, bei Form. imp. 13 (ebd., Nr. 13), 28 (ebd., S. 306 f., Nr. 28) und 29 (ebd., S. 307 f., Nr. 29) sodann um Bestätigungen derselben. Letztgenannte Formel ist dabei mit dem Befehl verbunden, entrissenes Gut zu restituieren.
45 Bereits Theodor Sickel hatte in derartigen Fällen zu vergleichsweise vagen Formulierungen nach dem Muster « Urkunde x hält die Mitte zwischen Formel y und Formel z » greifen müssen ; vgl. etwa sein Urteil bezüglich der Immunitäts- und Schutzbestätigungen BM² 612 (Cambrai), 615 (St-Mihiel) und 694 (Echternach), deren Formular er in genannter Weise zwischen Form. imp. 28 und 13 ansiedelt (« Beiträge III », S. 234, 252).
46 Bezeichnend etwa Arthur Giry, Manuel de diplomatique, Paris, 1894, Ndr. Hildesheim-New York, 1972, S. 485 (« collection officielle »).
47 Vgl. Robert-Henri Bautier, « La chancellerie et les actes royaux dans les royaumes carolingiens », in Bibliothèque de l’École des chartes, 142 (1984), S. 5-80 (wiederabgedr. in ders., Chartes, sceaux et chancelleries. Études de diplomatique et de sigillographie médiévales, Bd. 2, Paris, 1990 [Mémoires et documents de l’École des chartes, 34/2], S. 461-536), auf S. 44, der hinsichtlich der Formulae imperiales von einer Sammlung spricht, « qui semble plus un florilège d’actes réellement expédiés, compilé par quelque notaire pour son usage personnel, qu’un véritable manuel de chancellerie », und – mit direkter Bezugnahme – P. Johanek, « Herrscherdiplom... », S. 186 : « Es liegt auf der Hand, daß der Parisinus nicht das Formularbuch der Kanzlei, ein ‘véritable manuel de chancellerie’ gewesen ist. Am ehesten wird man an die Sammlung eines einzelnen Notars denken dürfen. » Vgl. auch die Ausführungen von Mark Mersiowsky, « Saint-Martin de Tours et les chancelleries carolingiennes », in Alcuin, de York à Tours. Écriture, pouvoir et réseaux dans l’Europe du haut Moyen Âge, hg. von Philippe Depreux und Bruno Judic, Rennes, 2004 (Annales de Bretagne et des Pays de l’Ouest, 111/3), S. 73-90, auf S. 81-84, und A. Rio, Legal Practice..., S. 45 f., 132-137.
48 Vgl. M. Mersiowsky, « Saint-Martin de Tours... », S. 82, der mit Blick auf das Manuskript ebenfalls von einer « collection occasionnelle, et non systématique » spricht.
49 Ebd., S. 83.
50 Das Diplom knüpft an eine Vorurkunde Karls des Großen (D KdGr. 195 = Wiederholung von D KdGr. 141) an, jedoch nicht in wörtlicher Benutzung, sondern unter deutlicher Umarbeitung. Zum Formular dieses Stückes vgl. auch Edmund E. Stengel, « Die Immunitätsurkunde Ludwigs des Frommen für Kloster Inden (Cornelimünster) », in Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, 29 (1904), S. 375-393 (wiederabgedr. in ders., Abhandlungen und Untersuchungen zur mittelalterlichen Geschichte, Köln-Graz, 1960, S. 249-263), auf S. 384 ff. Außer in BM² 649 für denselben Empfänger, das eine exakte Wiederholung von BM² 629 darstellt, lässt sich das Formular aus Form. imp. 29 sonst nur noch in BM² 655 für das Kloster Solignac greifen, streckenweise auch in BM² 668 für Manlieu ; vgl. auch E. E. Stengel, Immunität..., S. 24.
51 Zu Hirminmaris vgl. Ph. Depreux, Prosopographie..., S. 258 ff., Nr. 160, zu seiner Herkunft aus Tours Theodor Sickel, Ueber Kaiserurkunden in der Schweiz. Ein Reisebericht, Zürich, 1877, S. 4.
52 Erstmals als Rekognoszent genannt ist er in der Besitzbestätigung BM² 622 für den langobardischen Grafen Aio vom 31. Juli 816, letztmals begegnet er in der vom 1. September 839 datierenden Abtswahlverleihung BM² 998 für das Kloster Kempten. Der von Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 1, Leipzig, ²1912, Ndr. Berlin, 31958 = ebd., 41969, S. 386, genannte Letztbeleg zum 6. Mai 840 (BM² †1004) ist ein Spurium.
53 Grundsätzlich gilt jedoch, dass sich Hirminmaris’ Rolle allenfalls wahrscheinlich machen lässt ; zweifelsfrei zu belegen ist sie nicht. Zur Beteiligung des Hirminmaris, die im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes nicht näher diskutiert werden kann, vgl. vertiefend meine Dissertation (siehe Anm. 5).
54 Th. Sickel, Acta..., Bd. 1, S. 164. Ähnlich treffend hatte Sickel (« Beiträge III », S. 251) schon hinsichtlich der Immunitätsurkunden befunden, die Mehrzahl dieser Stücke mache den Eindruck, « dass die Schreiber […] die herkömmlichen Fassungen ihrem Gedächtnisse genau eingeprägt haben, aber nur selten an einer derselben bei der Conception der Urkunden consequent festhalten, sondern aus einer in die andere übergehen. Die Fälle der wirklichen Übereinstimmung zwischen Formeln und Urkunden oder der Urkunden unter sich sind daher seltener […]. »
55 E. E. Stengel, Immunität..., S. 24 f.
56 Vgl. exemplarisch Walter Koch, Art. « Formel, -sammlungen, -bücher. A. Lateinisches Mittelalter. IV. Ottonisch-salische und staufische Reichskanzlei », in Lexikon des Mittelalters, 4 (1989), Sp. 650 f., in Sp. 650, der hinsichtlich der ottonisch-salischen Kanzlei vor allem mit « private[n] Aufzeichnungen einzelner Kräfte » rechnet, während er für die noch unter anderen Vorzeichen stehende « Blütezeit der karol[ingischen] Kanzlei » von Formularbehelfen ‘professionelleren’ Typs auszugehen scheint.
57 A. Rio, Legal Practice..., S. 46.