Das Formelbuch des Notars Johann Magyi aus dem 15. Jahrhundert
Résumé
Public notaries (notarii publici) played a lesser role in Hungary as the so called loca credibilia, the peculiar Hungarian institutions carrying out authentic practice, became widespread in the 13th century. Thus, the sources concerning the Hungarian peculiarities of public notaries, a foreign phenomenon for native common law, are limited. A rare exception is the formulary book of János Magyi, which is the single exemplary book compiled by Hungarian public notaries that survived. The collection in Latin, edited in the last quarter of the 15th century, consists of four parts according to form and content. While the first provides insight into the practice of the royal court via charters of the royal chancery, the second part collects the charters of the Buda chapterhouse, which rejoiced countrywide authority as a locus credibilis. The first half of the third part contains some arenga stemming from 13th century scholastic tradition, the second half is a copy of a short prelatic formulary book. The ultimate, opulent fourth part contains approximately 200 formulas including charters of notaries, municipal and ecclesiastical courts. Connection between the parts are explained by the career of the compilator of the formulary book. János Magyi’s formulary book covers almost all fields of contemporary written legal practice. The purpose of the formulary book was obviously to facilitate its compilator’s work. The collection of different legal matters, on the one hand, saved recomposition and guaranteed exactitude at the same time. Whereas on the other hand the collection meant a major help for raising the new generations: formularies were textbooks of diplomatics and a means of practical legal training. János Magyi’s formulary was a daily aidance of a practicing jurist (litteratus), a document of his education and professional development, and, later, a medium of acquired knowledge. The book, thus, witnessed its compilator’s life and illustrated its stages: a formulary book that provides examples; a workbook for collecting interesting texts; and a textbook for junior colleagues acquiring knowledge of a practical jurist.
Einführung
Die Archive*, die die Dokumente des ungarischen Rechtswesens und schriftlichen Denkmäler der ungarischen Geschichte bewahrten, wurden in Folge der türkischen Dauerbesetzung im 16–17. Jahrhundert auf einem bedeutenden Teil des Landesgebietes vernichtet, und auch ihr Archivmaterial wurde größtenteils zur Nichte. Ein besonders sensitiver Verlust, dass auch die Institutionen der Hauptstadt Buda dieses Schicksal erleiden mussten. Aufgrund der Vernichtung der Registraturen der zentralen Gerichtshöfe und der königlichen Kanzlei, können wir über die Geschäftsführung und über die alltägliche Routine dieser Büros nur durch ihre Ausfertigungen, die in den Registraturen der Privilegierten erhalten geblieben sind, Folgerungen ziehen1. Im Falle der von den bedeutenden Dom- und Kollegialkapiteln und einigen Orden betriebenen speziellen Institutionen der Beglaubigung, der glaubwürdigen Orte (loca credibilia) ist die Situation ähnlich. Seltene und wertvolle Denkmäler der Archive und Manuskriptensammlungen sind neben den an den meisten Stellen schon im 15. Jahrhundert geführten Protokollen die Statuten, die die Aktenausgabe betreffen, wie auch die Formelbücher, die bei der Ausstellung der Urkunden behilflich waren2.
Wenn wir die öffentlich beglaubigten Dokumente erwähnen, dürfen wir die Tätigkeit der europaweit bekannten öffentlichen Notare (notarii publici) nicht vergessen. Während die glaubwürdigen Orte am Ende des 12. Jahrhunderts erschienen, und sich wegen des öffentlichen Vertrauens relativ schnell verbreiteten, konnte die Institution der Notare in Ungarn nur in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in weiteren Kreisen verbreitet werden. Allgemein gefragt waren die öffentlichen Notare nur dort, wo die Dokumente der glaubwürdigen Orte als Beweise nicht anerkannt wurden: vor dem kirchlichen Gericht. In dem ungarischen Rechtswesen war die notarielle Tätigkeit ein Fremdkörper, der aus der europäischen Rechtsübung bekannt ist. Bezüglich der ungarischen Spezialformen können wir nur die Ausfertigungen dieser Stellen benutzen3. Eine seltene Ausnahme in diesem Bereich bietet das Formelbuch von János Magyi, das einzige von einem öffentlichen Notar zusammengestellte und in Ungarn erhalten gebliebene Formelsammlung4.
I. Überlieferung und Inhalt
In der Fachliteratur ist diese in dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts zusammengestellte Sammlung seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. Damals wurde das Formelbuch schon in der Pécser bischöflichen Bibliothek aufbewahrt. Márton György Kovachich beschrieb das Buch und publizierte dessen Text mit anderen Formelbüchern zusammen5. Nach einem Jahrhundert verschwand das Manuskript und nach anderthalb Jahrzehnten langen Verschwinden wurde es in einem Nachlass wiedergefunden. Der Prozess um das Eigentumsrecht stellte den Kodex wieder in das Rampenlicht. Forschungen wurden damals angeleitet und man stellte nicht nur die Person des Autors, sondern auch die Struktur des Buches und die Umstände dessen Entstehung fest6.
Aufgrund der voreiligen Feststellung des Herausgebers nannte man das Buch Nyírkállóer Kodex. Der Autor des Manuskripts ist aufgrund des mit einem Rubrum geschmückten Notarsignets und des Schlussprotokolls, bzw. der an die selbe Seite eingetragenen kaiserlichen (1476) und päpstlichen (1490) Notarernennungen von Johannes, Sohn des Kelemen Magyi, eindeutlich identifizierbar7. Das Werk besteht aus 28 Bögen, 277 Blättern und wurde von der selben Hand geschrieben. Das Buch scheint in der Struktur (auch in der veröffentlichten Form) ungeordnet zu sein. Die Blätter und Bögen wurden in der falschen Reihenfolge eingebunden, und auch während der alltäglichen Benutzung wurden einige Texte von Urkunden – mit der Missachtung der Originalkonzeption – nachträglich in die leeren Stellen eingetragen. Die detaillierte Forschung konnte die Originalstruktur des Werkes unabhängig von der Reihenfolge des Manuskripts rekonstruieren.
Aufgrund der formalen und inhaltlichen Merkmale kann man vier, voneinander gut trennbare Teile des Buches unterscheiden. Der erste Teil, dessen Titel auch in der Publikation übernommen wurde, beinhaltet 58 Urkunden aus der Kanzlei des Königs Matthias (1458–1490). Diese Dokumente hängen miteinander nicht nur wegen ihres Ausstellers, des persönlichen Gerichtes des Königs (personalis presentia regia), sondern auch wegen ihrer Datierung eng zusammen. Die meisten Urkunden wurden 1476 ausgestellt, aber auch die ohne Datierung eingetragenen Texte können bezüglich ihrer inhaltlichen Merkmale diesem Datum zugeordnet werden. Da viele Angaben, die aus dem Aspekt des Formelbuches überflüssig wären – Personen- und Orstnamen, Datierungen – in größerer Zahl in diesem Teil erwähnt werden, ist es annehmbar, dass diese Texte in der Kanzlei direkt von den Originalurkunden kopiert wurden8.
Der zweite Teil – zwar physikalisch zwei geteilt – enthält etwa 180 Urkunden des glaubwürdigen Ortes des mit landesweiter Zuständigkeit ausgestatteten Budaer Kapitels. Abgesehen von einigen früheren Texten – die wegen ihrer Besonderheiten in die Sammlung aufgenommen wurden –, wurden diese Urkunden zwischen 1476 und 1478 (1480) ausgegeben. Der Verfasser der Urkunden, und die zwischen den Ausfertigungen auffindbaren Schätzungs-, Verjährungs- und Altersverzeichnisse lassen auf die Benutzung in einem glaubwürdigen Ort schließen. Der Zusammensteller der Sammlung war wahrscheinlich ein Angestellter des Budaer Kapitels, vielleicht der Notar der Körperschaft9.
Die dritte inhaltliche Einheit unterscheidet sich bezüglich der Sammlungsmethode bedeutend von den anderen. Die erste Hälfte beinhaltet 25 Arengen, die die Bedeutung der schriftlichen Form der rechtlichen Tatsachen und die Notwendigkeit der königlichen Gratifikation beschreiben, und auf das 13. Jahrhundert zurückgeführt werden können10. Nach den Arengen, die zum Teil der ars dictaminis gehören und aller Wahrscheinlichkeit nach in der Schule „weitergeerbt” wurden, befinden sich neun Kondolenzbriefe. Dieser Teil wird mit der Arenga eines Testaments abgeschlossen11. Nachher wurde eine Urkunde aus 1478 eingefügt, die darauf schließen lässt, dass die Arengen vor dieser Zeit kopiert wurden.
In diesem dritten Kapitel, doch als selbständige Einheit befindet sich das kurze Formelbuch des Bischofs Johannes mit 15 Urkunden12. Aufgrund der bezüglichen Urkunden des Budaer Kapitels können wir annehmen, dass diese Sammlung um 1478 in Óbuda kopiert wurde. Diese Einheit wurde früher falsch zum Pécser (Fünfkirchener) Bischof Janus Pannonius (1434–1472), dem europaweit berühmten, auch in der königlichen Politik eine führende Rolle spielenden humanistischen Dichter geknüpft. Die ohne ihren Intitulationen kopierten Urkunden können aufgrund der inhaltlichen Merkmale mit der Person des ehemaligen Pécser Propstes, später Egerer Bischofs, dann Esztergomer Erzbischofs, Johann Beckensloer in Beziehung gebracht werden. Die Urkunden wurden in der Zeit zwischen 1468 und 1476 ausgestellt. Dass die Angaben bezüglich des Ausstellers konsequent weggelassen wurden, kann damit erklärt werden, dass Beckensloer im Jahre 1476 zum Kaiser III. Friedrich übertrat und in Ungarn in Ungnade fiel13.
Der vierte und längste Teil mit seinen etwa 200 Formeln befindet sich an drei verschiedenen Stellen14. Die Ursache dafür liegt nicht nur in der Arbeit des Buchbinders, sondern auch in der laufenden Benutzung der Sammlung, weil man die zur Verfügung stehenden leeren Stellen mit neuen Texten auffüllte. Bei diesen Eintragungen achtete man weniger auf die Struktur des Buches, viel mehr auf die Ausnutzung der leeren Seiten. Dieser Teil ist im engeren Sinne das Magyische Formelbuch, das die vorherigen, verschiedenen thematischen Einheiten in sich integriert. Seine Urkunden sind vielfältig. Es befinden sich hier königliche Ausfertigungen, die meistens in den 1480-er Jahren ausgestellt wurden. Diese Urkunden wurden aber nicht in der königlichen Kanzlei gesammelt, sondern bei den Empfängern kopiert, sie sind also im Gegensatz zu den Urkunden des ersten Teiles des Formelbuches viel mehr aus dem Aspekt der Provenienz miteinander verbunden. Es handelt sich neben den Privilegien der Óbudaer Nonnen der Klarissen Orden um die Mandaten, Privilegien und Donationen bezüglich der Städte Óbuda und Pest, und deren Bürger. Der städtische Charakter wird auch dadurch befestigt, dass nicht nur die Ausfertigungen der königlichen Kanzlei, sondern auch die im Jahre 1479 verfassten Erlasse des vom magister tavernicorum (=camerarius) geführten obersten Gerichtes der Städte, die das Budaer (Ofner) Stadtrecht benutzten, hier eingetragen wurden. Weiters befinden sich hier die Zunftartikel der Mahler, Münzstecher und Goldschmiede einer unbekannten Stadt, Urteile bezüglich städtischer Angelegenheiten von verschiedener Gerichte höherer Instanz, und auch die besonders wertvolle Sammlung der Zunftsatuten der Stadt Pest aus den Jahren von 1444 bis 1482.
All diese Urkunden sind die Denkmäler der Rechtspraxis der Umgebung, wo der Zusammensteller des Formelbuches, János Magyi lebte und arbeitete: im Focus seiner Interesse steht die Stadt Pest am linken Ufer der Donau. Gelegentlich nahm er die Ausfertigungen der benachbarten Stadt Buda, bzw. seines früheren „Arbeitgebers”, des Budaer Kapitels, wie auch die Privilegien der Óbudaer Klarissen in seine Sammlung auch auf15.
Neben den städtisch thematisierten Urkunden enthält der vierte Teil Texte der kirchlichen Gerichtsbarkeit in größerer Zahl. Durch die Verbreitung der glaubwürdigen Orte in Ungarn im 13. Jahrhundert waren die öffentlichen Notare in erster Linie bei den kirchlichen Gerichten tätig: sie vertraten die Parteien und verfertigten ihre Eingaben16. Unter ihnen spielten die Stellen des Legatenforums, die der Geschäftsführung und den Formeln der römischen Kurie folgten, eine besondere Rolle. Die Mitarbeit in der Rechtlichkeit eines päpstlichen Legates war finanziell sehr vorteilhaft, so wurden in erster Linie die diesbezüglichen Texte in die Sammlung von Magyi aufgenommen. Diese Urkunden – ähnlicherweise wie die königlichen Ausfertigungen – stammen aus den 1480-er Jahren.
Zu diesem vierten Teil gehören etwa zwei Dutzend selbständige Ausfertigungen des öffentlichen Notars. Anwaltsaufträge, Verordnungen oder Petitionen bezüglich der kirchlichen Benefizien, Konzepte der Anträge an einen heiligen Stuhl, Berufungen oder Überschriften der Testamente waren Angelegenheiten des kirchlichen Gerichtswesens, und zeigen deutlich, dass die Tätigkeit der öffentlichen Notare in Ungarn von der kirchlichen Gerichtsbarkeit unzertrennlich war. Die meisten Urkunden wurden in den 1480-er Jahren, einige am Anfang der 1490-er Jahren datiert: anscheinend sind diese die jüngsten Urkunden im Buch17.
Dieser vierte Teil, der in seiner Thematik gemischt, aber nach einigen Merkmalen doch einheitlich ist, zeigt sich als die Urkundensammlung eines öffentlichen Notars, der in Pest tätig war, und mit den städtischen Behörden, mit den Bürgern von Pest und Buda, mit den Partnerstädten und mit den kirchlichen Gerichten in Kontakt stand. Die Zusammenhänge zwischen einigen Elementen, aber auch bezüglich der vier Teilen der Sammlung können mit der Laufbahn des Verfassers erklärt werden.
II. Der Autor
Johann Magyi war aller Wahrscheinlichkeit nach Mitglied der Kleingrundbesitzer-Familie Magyi aus dem Komitat Szabolcs in Ost-Ungarn. Sie waren Familiäre der Großgrundbesitzer, die höhere Amte im Land bekleideten und durch die die Erhebung der Familienmitglieder gesichert war. Einige von ihnen waren an der Wende des 15–16. Jahrhunderts Stellvertreter von einigen Richtern der Kurie, in der Nachfolgerordnung der Familie (die in den Privilegurkunden der Familie zurückzufolgen ist), kommt der Name von Johann Magyi nicht vor. Nur der Name seines Vaters, Kelemen und der Name eines einzigen Verwandten, Pál Napkori, Eszlárer Pfarrer und Szabolcser Dekan wurde im Formelbuch erwähnt18.
Entsprechend der Praxis dieser Epoche lernte Johann die Grundsätze der lateinischen Sprache und des Lesens und Schreibens in Eger, im Zentrum der Diözese. In der lokalen Kapitelschule lernte er nicht nur die Elemente der Artes, sondern wahrscheinlich auch das Gewohnheitsrecht des ungarischen Adels kennen. Außer des Wissens brauchte er aber auch einen Patron, um nach Buda zu kommen, wo er schon am 8. März 1476 als Notar eine Urkunde des Budaer Kapitels in Óbuda (früher königlicher Sitz) redigierte. Es ist annehmbar, dass er als Notar in dem glaubwürdigen Ort des Kapitels diente19. Der Patron von Magyi war entweder der Egerer Bischof (1468–1474) Johann Beckensloer, der bezüglich des dritten Teiles des Manuskriptes schon erwähnt wurde, oder viel mehr der spätere (ab 1474) Egerer Bischof, Gábor Rangoni. Letzterer kaufte 1476 gerade am Hauptplatz von Óbuda ein Haus, und Magyi sollte vielleicht dort im Weiteren seine Interessen vertreten. Bezüglich der Tätigkeit des Bischofs Rangoni enthält das Formelbuch mehrere Dokumente. Dass die beiden in Kontakt standen kann auch dadurch bewiesen werden, dass nach dem Abtritt von Rangoni nach Rom 1480 das Verhältnis zwischen Magyi und dem Óbudaer glaubwürdigen Ort lockerer wurde: ab dieser Zeit kommen in der Sammlung die Ausfertigungen des Kapitels immer seltener vor20.
Die Reihe der datierten Urkunden in dem zweiten Teil des Formelbuches (unter den Ausfertigungen des glaubwürdigen Ortes) läuft ab August, später ab Oktober 1476 weiter. Parallel dazu wurden die Kanzleiausfertigungen des ersten Teiles, die genau datiert wurden, zwischen dem 8. Juni und dem 17. September herausgegeben. Angenommen, dass Magyi diese Texte in der Kanzlei selbst kopierte, musste er diese zwei Tätigkeiten parallel ausüben: er gab seine Beziehung mit dem Kapitel auch während des Praktikums in der Kanzlei nicht auf. In die Kanzlei des königlichen Hofes, die auch als der wichtigste Platz des Jurapraktikums diente, wurde Magyi vielleicht mit der Unterstützung von Gábor Rangoni aufgenommen, der ab 1476 das Amt des Haupt- und Geheimkanzlers bekleidete. Wir sollten auch die Rolle des Budaer Propstes, László Karai nicht verkleinern, weil er um diese Zeit als Vizekanzler die Kanlzei leitete. Magyi’s Praktikantenzeit in der Kanzlei kann mit seinem Streben nach fachlichen Erfahrungen und Studien erklärt werden21.
Die Monate des Praktikums in der Kanzlei brachten keine langfristigen Folgen mit sich. Im Gegensatz zu einigen seinen Zeitgenossen und Berufskollegen blieb Johann Magyi nicht unter den Notaren der Kurie, und aufgrund der Urkunden des Formularbuches war seine Tätigkeit als Notar eines glaubwürdigen Ortes auch provisorisch. Seine Interesse führte ihn vielmehr in die Richtung des weniger gebundenen Berufs des öffentlichen Notars: am 25. November 1476 wurde er in Buda durch kaiserliche Autorität zum öffentlichen Notar ernannt. Die datierten Urkunden seiner Sammlung zeugen davon, dass er ab 1477 laufend in diesem Amt praktizierte, und zwar in Pest und in Buda, sogar nach 1485, als König Matthias Wien eroberte, auch in Wien22.
Die Ausführung des Amtes des öffentlichen Notars – wenn das nicht in dem Dauerdienst des kirchlichen Gerichtes passierte – forderte relativ wenig Gebundenheit. Auch Magyi versuchte die vielen Möglichkeiten des Regierungsitzes, der kirchlichen Benefizien und der Wirtschaftsleben der umliegenden Städte auszunutzen. Um diese Zeit zog er von Óbuda nach Pest um, obwohl in einer undatierten Urkunde des Formelbuches er als Geschworene der unter grundherrlicher Herrschaft stehenden Siedlung Ráckeve erwähnt wird23. Die wichtigsten Urkunden aus den 1480-er Jahren beziehen sich auf die Stadt Pest. Die Menge der Pester Formel zeugt darüber, dass die Person, die die Urkunden kopierte, in der Kanzlei des Stadtrates arbeitete. Obwohl die Handschrift von Magyi in dieser Epoche auf den städtischen Ausfertigungen nicht identifiziert werden kann, die Tatsache, dass er seine Ernennung zum päpstlichen öffentlichen Notar am 25. Februar 1490 erhielt, lässt darauf schließen, dass er hier lebte und in Pest tätig war. Auf einer städtischen Urkunde vom 7. März 1492 finden wir die Unterschrift von Johann Magyi: wenn nicht früher, dann aber am Ende seines Lebens war er ganz sicher der Notar der Stadt Pest. Er stellte seine letzte Urkunde als öffentlicher Notar am 10. März 1493 aus.
III. Die Funktion des Formelbuches
Wir können das Leben des Johann Magyi, und die wichtigsten Stationen seines Lebens aufgrund der erhalten gebliebenen Texte seines Formelbuches und aufgrund der Struktur des Buches rekonstruieren. Die Formelsammlung ist ein treuer Abdruck des Lebenslaufes und der Studien seines Zusammenstellers als Gelehrter (litteratus). Die Eintragungen folgen seine Lebensbahn ab den Arengen der Kapitelschule bis zur wirtschaftlichen und rechtlichen Dokumentensammlung der Stadt Pest, wo er seine Tätigkeit als öffentlicher Notar ausübte. Das Formularbuch beschäftigt sich – mit Ausnahme der Verwaltungsakten der mittleren Ebene – mit allen Gebieten des schriftlichen Rechtswesens seiner Epoche: es bietet Hilfe zur Zusammenstellung der Ausfertigungen der glaubwürdigen Orte an, zeigt Beispiele aus der Praxis der Kurie, enthält Dokumente der kirchlichen Gerichte und zeigt mehrere Aspekte der städtischen Schriftlichkeit. Es scheint, dass Magyi versuchte die schriftliche Praxis und die Charakteristik der Ausfertigungen von mehreren Ausfertigungsstellen kennenzulernen, um seinen gewählten Beruf als öffentlicher Notar besser auszuüben und die Aufträge seiner Mandanten vollständig auszuführen.
Die im Titel erwähnte Sammlung (das Formelbuch des Notars Johann Magyi) ist also im weiteren Sinn, und nicht ausschließlich als Formelbuch des öffentlichen Notars Johann Magyi zu verstehen. Das jahrzehntelang gesammelte Dokumentenmaterial, in dem sich neben den Denkmälern seiner Beglaubigungstätigkeit auch die Texte anderer Urkundenausfertiger, früher zusammengestellte Sammlungen oder Unterrichtsmaterial befinden, vereinigt praktisch alle Typen der ungarischen Formelbücher in sich24. Neben diesem Aspekt spielt aber das Manuskript aus einer anderen Sicht eine wichtige Rolle. Das Ziel der Zusammenstellung der ähnlichen Mustersammlungen war die Erleichterung der Arbeit des Zusammenstellers. Die Sammlungen bewahren die wiederholenden Teile, stereotypen Formeln und rechtssichernden Klauseln der rechtlichen Texte auf, so braucht man die Urkunde nicht neu zu formulieren und auch die Präzision wird garantiert. Andererseits helfen diese Formelbücher in der Ausbildung der Notare: die Sammlungen waren Lehrbücher der Aktenausfertigung und auch Mittel des Jurapraktikums25. Johann Magyis Formelbuch ist ein exzellente Beispiel auch dafür.
Die Sprache der rechtlichen Schriftlichkeit war bis 1844 in Ungarn die lateinische Sprache. Nicht nur die Dokumente der kirchlichen Gerichte, sondern auch die der staatlichen Gesetzgebung, der Gerichte und der öffentlichen glaubwürdigen Orte benutzten diese Sprache, die nicht mit der Muttersprache der Landesbewohner identisch war, und dadurch die gleichen Bedingungen für alle ethnischen Gruppen sicherte. Beim Erlernen der juristischen Ausdrücken – besonders dann, wenn in der mündlichen Praxis des Landtages, der Gerichte oder in der Verwaltung die Muttersprache (sermo vulgaris) die Hauptrolle spielte – war aber das vollständige Verständnis unumgänglich. In Magyis Buch finden wir die Erklärung zahlreicher lateinischen Ausdrücke am Rand der Seite auf Ungarisch übersetzt. Das vierzeilige Gedicht, das eine juristische Regel beschreibt, diente auch Unterrichtsziele, und gehört zu den ältesten Gedichten der ungarischen Literatur26. Die Adressaten der in einigen notariellen Urkunden an der Stelle der Datenangaben dieser Urkunden eingetragenen Instruktionen, sollten wir auch unter den Benutzern, die das Formelbuch als Lehrbuch verwendeten, suchen. Das Manuskript trägt einen hohen Quellenwert nicht nur aus der Sicht der Rechts-, sondern auch der Literatur- und Kulturgeschichte.
Der Kodex, der unter den spätmittelalterlichen archivarischen, aber nicht direkt rechtssichernden ungarischen Quellen als seltene Ausnahme erhalten geblieben ist, war das Hilfsmittel in der alltäglichen Arbeit eines in der Praxis arbeitenden Juristen (litteratus), das Dokument seiner Studien und fachlichen Entwicklung, später der Überträger seines erworbenen Wissens. Das Buch begleitete ihn durch sein Leben, und illustrierte die Abschnitte und Stationen seiner Laufbahn reichlich. Das ist ein Formelbuch, das als Muster verwendet wurde, ein Arbeitsbuch, in das er die interessantesten Texte laufend eintrug, und ein Lehrbuch mit den wichtigsten Kenntnissen des praktischen Rechtswesens für die jüngeren Mitarbeiter. Während seiner fachlichen Tätigkeit erweiterte Johann Magyi sein Wissen laufend, er lernte und studierte, und parallel dazu – als Teil seiner Arbeit – übergab er das erworbene Wissen. Das Vorgehen der juristischen Intelligenz des europäischen Mittelalters war ähnlich27, so versicherte man nämlich im Rechtswesen das praktische Weiterführen des Gewohnheitsrechtes (consuetudo).
Auf die Bedeutung des Kodexes weist auch die Tatsache hin, das die Rolle des Formelbuches – obwohl es sich nicht auf eine Institution oder Körperschaft, sondern gänzlich auf eine Person bezieht – mit dem Tod von Johann Magyi um 1493 nicht endete. Die letzten drei, inhaltlich gemischten Bögen des Kodexes – die die meisten ungarischen Glossen des Buches enthalten – zeigen die Spuren anderer Hände. Die leeren Stellen des Manuskriptes und auch die inneren Seiten der Einbände füllte man nachträglich mit Gedichten und mit Hausinschriften aus. Die Eintragungen beweisen, dass die späteren Eigentümer das Buch seinem originalen Bestimmung entsprechend solange verwendeten, bis dessen Inhalt aus dem rechtlichen und formalen Aspekt für zeitgemäß galt28.
Zusammenfassung
Das Formelbuch des öffentlichen Notars Johann Magyi aus dem 15. Jahrhundert ist offensichtlich mehr, als das, was wir über das Buch aufgrund des Titels denken können. Nicht nur die eng betrachteten Dokumenten aus der Praxis des öffentlichen Notars wurden in das Buch aufgenommen, es zeigt fast die Ganzheit der offiziellen Schriftlichkeit des spätmittelalterlichen Ungarns. Die Bedeutung des Buches ist groß, weil es nicht nur Aktenmuster beinhaltet, sondern durch seine Struktur und Glossen in das Alltagsleben eines mittelalterlichen Schriftgelehrten einen Einblick schafft. Die Exklusivität und Kuriosität des Formelbuches weckte die Interesse der Verleger schon im 18. Jahrhundert, doch wir schulden noch mit der modernen kritischen Edition.